Der Historiker

Eugen Brosch-Fohraheim, Leiter der GeschichtsWerkstatt, beleuchtet in seiner Kolumne "Der Historiker" im Museumsjournal ab 2024 jede Ausgabe ein historisches Thema. Hier gibt es den Beitrag in Eugen's Originalfassung und in Originallänge mit Anmerkungen zum Nachlesen!

Du bist meine Schwester!

Du bist meine Schwester!

1. Bundeslager des Österr. Pfadfinderinnenverbandes St. Georg - Hintersee

(11.-23. Juli 1965)

 

Das Jahr 1965 war einerseits durch eine „Wachablöse“ in Österreich – dem Bundespräsidenten Dr. Adolf Schärf folgte Franz Jonas und der ehemalige Bundeskanzler und Schirmherr der Pfadfinder Österreichs Ing. Leopold Figl starb – und andererseits durch die weiteren Fortschritte bei der Eroberung des Weltalls – der sowjetische Kosmonaut Alexej Leonow verließ als erster Mensch seine Raumkapsel „Woschod 2“ und die beiden US-amerikanischen Raumkapseln „Gemini 6“ und „Gemini 7“ trafen einander im Weltall zu einem „Rendezvous“ – geprägt. [1] Im März drehten die „The Beatles“ Teile ihres Films „Help“ in Obertauern. Der Abschluss des von Papst Johannes XXIII. einberufenen II.Vatikanischen Konzils veränderte die katholische Kirche nachhaltig.

Der „Verbands-Pfadfinderinnenrat“ des „Österreichischen Pfadfinderinnenverbandes St.Georg“ (=ÖPV) beschloss 1964 erstmals ein Bundeslager zum Jubiläum „20 Jahre freies Österreich“ [2]. unter dem Motto „Du bist meine Schwester“ [3]. abzuhalten und kündigte das Datum in der Verbandszeitschrift „Kleeblatt“ an. Ab März 1965 erschienen im „Kleeblatt“ unter dem Titel „BUndesLAgerNAchrichten“ aktuelle Berichte. Mögliche Lagerplätze wurden in Kärnten bei Bleiburg[4], bei Hof bei Salzburg und im Thalgau[5] besichtigt und nicht für geeignet befunden. Die Wahl fiel schließlich auf Hintersee. Der Lagerplatz, der auf der einen Seite von einer Straße und andererseits von einem Wald begrenzt war, lag wahrscheinlich östlich von Hintersee. Etwas nördlich des Lagerplatzes floss der Lämmerbach vorbei. Der Lagerplatz war in 6 Pfadfinderinnen-Unterlager, einem Ranger-Unterlager, sowie in einen Altarplatz, Flächen für die Lagerleitung und den Marktplatz unterteilt.[6] Am Lagereingang, der im Bereich des Marktplatzes gewesen sein dürfte, stand ein Lagertor, das von Diensthabenden überwacht wurde. Diese waren mit einer von den Wienerinnen gestickten „Schärpe“ [7] gekennzeichnet. Jedes Unterlager hatte ein eigenes Lagertor und eine Kochstelle auf der für die Lagerteilnehmerinnen des Unterlagers gekocht wurde. Die „Tracht“ (=Uniform) wurde nur bei besonderen Anlässen, z.B. Lagereröffnung, Besuchersonntag, Besuch in Salzburg, sonst wurde das „Lagerkleid“ mit Halstuch getragen.

Die Lagerleitung bestand aus Monika Reichert als Lagerleiterin, ihrer Stellvertreterin Maria Doublelsky und Lagerkurat Dr. Hermann Groer. Für die medizinische Erstversorgung stand Sr. Renate Bauer zur Verfügung. Die rund 300 Lagerteilnehmerinnen kamen aus allen Bundesländern, wobei Wien und Steiermark mit je rd. 50 Teilnehmerinnen und Niederösterreich, Tirol, Vorarlberg und Salzburg rd. 30 Teilnehmerinnen vertreten waren[8]. – Details über die teilnehmenden Gruppen sind nicht bekannt - und Gästen aus Deutschland, Schweiz und Liechtenstein. Der Lagerbeitrag betrug ATS 220,-- plus die Anreisekosten, die je nach dem Anfahrtsweg festgelegt wurden. In diesem Betrag sind auch die Kosten für das Lagerabzeichen und das hektographierte „Lagerhandbuch“ im Format A4 enthalten. Während der Lagerdauer erschien die ebenfalls hektographierte Lagerzeitung „Hinterseer Lagerkurier“ – insgesamt acht Nummern - im Umfang von je einer doppelseitig bedruckten A4-Seite, Preis 20 gr. Die Redaktion war im Unterlager Wien untergebracht.

Der Tagesablauf war grundsätzlich wie folgt geregelt: 7 Uhr Wecken, 7.45 Uhr Frühstück, 8.30 Uhr Hl. Messe. 9.15 Uhr Inspektion, 9.30 Uhr Flaggenaufzug, anschließend Unterlagerprogramm, 12 Uhr Mittagessen, anschließend Unterlagerprogramm und Freizeit, 19 Uhr Abendessen, 20.30 Lagerfeuer und schließlich 22 Uhr Nachtruhe. Grundsätzlich war jedes Bundesland für das Programm, soweit nicht ein „allgemeines Programm“ angeboten wurde, zuständig. Jeder Tag stand unter dem Motto eines Bundeslandes, deren Pfadfinderinnen ihren Möglichkeiten entsprechend Teile des Programms gestalteten und für jeden Tag war ein anderes Lied zum Flaggenaufzug vorzubereiten. Zur „Lager- und Feuerwache“ waren jeweils Mitglieder des Bundeslandes am Tag nach ihrem Tag eingeteilt.

Die tägliche Hl. Messe wurde von den Pfadfinderinnen des „Tages-Bundeslandes“ gestaltet, wobei die Uraufführung der „Messe von Prof. Walter Lehner“ der Niederösterreicherinnen und die „Wiener Jazzmesse“[9] besonders beeindruckten. Zwei Hl. Messen wurden – das war damals erforderlich - nach Erlaubnis des erzbischöflichen Ordinariats Salzburg in Form von Konzelebration zelebriert. [10]

Am NÖ-Tag (13.7.) –wurde ein NÖ-Quiz veranstaltet, bei dem die Vorarlberger Mädchen die ersten Plätze belegten[11]., und ein Fackeltanz leitete zum Lagerfeuer über. Der Kärnten-Tag (15.7.) wurde als „Robinson-Tag“ mit einer Tages-Wanderung auf verschiedene Almen und Kochen im Freien[12] durchgeführt. Die Ranger marschierten abends zu einer Nachtwanderung[13]  mit verschiedenen Stationen – „Thing“ genannt - los. Als Abschluss erklommen sie das Zwölferhorn und stiegen zum Mondsee ab. Ein Lagertor-Zeichenwettbewerb war der Höhepunkt des Steiermark-Tages (16.7.). Diesen Tag wollten die Wienerinnen trotz einsetzendem Regen mit einer kleinen Nachtwanderung krönen. Der leichte Regen verwandelte sich in einen sintflutartigen Wolkenbruch und zwang zur Umkehr, der durch einen Transport auf einem Schweinefuhrwerk[14] verkürzt wurde. Im Lager selbst hielten nicht alle Zelte dem Regen stand, es mussten rasch Wassergräben ausgehoben werden. Hier bewährten sich die vom Bundesheer – es hatte 15 (25-Mannzelte) und 25 (6-Mannzelte) bereitgestellt - zur Verfügung gestellten großen Zelte, die eine Evakuierung[15] der besonders betroffenen Zelte ermöglichten. Am gut besuchten Besucher-Sonntag (18.7.) konnten bei wieder trockenem Wetter auch einige Ehrengäste, wie ÖPV-Präsidentin Hanna Schenk und der PÖ-Bundesfeldmeister Walter Weissenstein[16] begrüßt werden. Am Salzburg-Tag (19.7.) ging es per Bus nach Salzburg, wo nach einem Empfang beim Salzburger Vizebürgermeister[17] die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten erkundet wurden. Ein heftiges Gewitter am Nachmittag trieb die Besucher wieder in die Busse zur Rückfahrt. Eine „Lagerolympiade“ stand am OÖ-Tag (20.7.) mit Bewerben, wie Laufen, Kugelstoßen, Hoch- und Weitspringen und Speerwerfen, am Programm. Die Mannschaftswertung entschied das Team der Steiermark (49 Punkte) vor Vorarlberg (32 Punkte) und Wien (20 Punkte)[18] für sich. In den Unterlagerprogrammen fanden sich auch diverse „Gute Tat“-Aktionen, wie z.B. Mithilfe beim Einbringen von Heu, bei der Gartenarbeit etc. Nach dem Abschlusslagerfeuer (22.7.) störte neuerlich Regen die letzte Lagernacht. Mit einer Extraträne im Auge verabschiedeten sich die Wienerinnen von ihrem heißgeliebten Maskottchen, dem schwarzen, kleinen Pudel „Bibi“ der Unterlagerführerin Hanna Müller.[19]

Post Scriptum: Sollten Sie, geschätzter Leser, genaueres über den Standort des Lagers oder andere ergänzende Mitteilungen, Erlebnisse oder Fotos verfügen, so ist der Autor für die zeitweise Überlassung dankbar. Meine Email-Adresse: eugen(dot)brosch-fohraheim(at)chello(dot)at

 

 

 

[1]             Hermann Stöger: „So stand’s im Kurier – 25 Jahre Zeitgeschichte im Spiegel einer Zeitung“, Seite 133 ff, Wien 1979

[2]             Msgr.Dr.Hans Groer: „Hintersee“, in „Kleeblatt“, 6. Jahrgang Nr. 1 - September 1965, Seite 3, Wien 1965

[3]             Monika Reichert, in „1.Bundeslager des ÖPVSG in Hinterberg vom 11.-23.7.965“(Lagerhandbuch), Seite 1

[4]             Walter Cech: „Auf den Spuren der österreichischen Pfadfinderinnenbewegung“, Seite 166, Wien 2012

[5]             Protokoll der Bundeslager-Besprechung am 16.1.1965 in Salzburg, Seite 1

[6]             Lagerhandbuch „1.Bundeslager des ÖPVSG in Hintersee“, Hintersee 1965, Seite 10

[7]             „Hinterseer Lagerkurier“ Nr. 2 13.7.1965, Seite 2

[8]             „BUundesLAgerNAchrichten“ in „Kleeblatt“ Nr.VI/1965, Seite 65

[9]             Msgre.Dr.Hans Groer: „Hintersee“, in „Kleeblatt“ September 1965, Seite 4

[10]           Msgre.Dr.Hans Groer: „Hintersee“, in „Kleeblatt“ September 1965, Seite 4

[11]           „Niederösterreich“, in „Kleeblatt“ September 1965, Seite 6

[12]           Protokoll der Bundeslagerbesprechung am 15/16.5.1965, Seite 3

[13]           „Aus der Rangergrube“, in „Kleeblatt“ September 1965, Seite 16/17

[14]           „Hinterseer Lagerkurier“ Nr. 7 17.7.1965, Seite 1

[15]           „Hintersee Venedig“, in „Kleeblatt“ September 1965, Seite 10

[16]           Lagerhandbuch „1.Bundeslager des ÖPVSG in Hintersee“, Hintersee 1965, Seite 10

[17]           „Hinterseer Lagerkurier“, Nr. 8 vom 21.7.1965, Seite 1

[18]           „Kleeblatt“ September 1965, Seite 10

[19]           Auskunft von Hanna Wagner am 15.4.2025

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