Der Historiker

Eugen Brosch-Fohraheim, Leiter der GeschichtsWerkstatt, beleuchtet in seiner Kolumne "Der Historiker" im Museumsjournal ab 2024 jede Ausgabe ein historisches Thema. Hier gibt es den Beitrag in Eugen's Originalfassung und in Originallänge mit Anmerkungen zum Nachlesen!

Erstes Pfadfinderinnenlager in Österreich

Das am 24.9.1895 von Oskar und Emmy Teuber, den Eltern von Emmerich Teuber, erworbene Haus - heutige Adresse Pointengasse 58 - ging durch einen Schenkungsvertrag 24.1.1909 in den Besitz von Emmerich Teuber und seiner Frau Charlotte, geborene Coxe, über. Die beiden waren an dieser Adresse selbst nie gemeldet. 1915 stellten sie ihre Liegenschaft zur Besicherung der Heiratskaution - Pfandrecht über 12.000,-- Kronen – für seinen Bruder Wilhelm zur Verfügung.[1] Aufgrund des Eintritts der USA in den ersten Weltkrieg 1917 wurden die Zahlungsströme aus den USA in die nunmehrigen Feindstaaten Österreich-Ungarn unterbrochen, was auch die Zuwendungen der Familie Coxe an die Familie Teuber betraf. Wahrscheinlich sahen sich die beiden aus diesem Grund gezwungen das Haus in Dornbach mit Kaufvertrag vom 28.5.1918 zu verkaufen. Dies dürfte auch ein Grund sein, warum die „Dornbacher Villa“ des „Reichsfeldmeisters (=RFM) Teuber in Pfadfinderkreisen lange Zeit unbekannt war.[2] Die rund 1800 m2 große Liegenschaft selbst lag damals am Rande von Dornbach, der Heuberg war damals noch nicht besiedelt, und bot einen direkten Zugang zu Wiesen und dem Wienerwald. Damit war sie hervorragend für Aktivitäten im Freien geeignet. Das Haus selbst war ursprünglich als „Weinhauer Haus“[3] errichtet worden und bestand aus einem ebenerdigen Trakt zur Straße und einem „Hoftrakt“ (rd. 40 m2) des Hauses. Von einer „Villa“, wie wir sie heute erwarten würden, kann keine Rede sein. Das Haus wurde in den 20er-Jahren aufgestockt, was man beim Anblick von heute berücksichtigen sollte.

 

Im 1912 in München erschienenen „Pfadfinderbuch für junge Mädchen“[4], das sicher auch den Führerinnen des „Wiener Pfadfinderinnenkorps“ zur Verfügung stand, ist nichts über „Lagertechnik“ zu lesen. Bei mehrtägigen Wanderungen – von Lagern ist in dem Buch gar nicht die Rede - ist von den Führerinnen „für ein bequemes, wenn auch einfaches Nachtquartier Sorge zu tragen“.[5]

 

1914 – kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges - hatte eine Abordnung von 10 Wiener Pfadfindern der Gruppe „Prinz Eugen“ erstmals Gelegenheit auf einem Lager der 30. Prager Junak-Gruppe in Plana a.d. Luschnitz Erfahrungen bezüglich Lagertechnik zu sammeln. 1915 veranstaltete das „Wiener Pfadfinderkorps“ ein erstes „Lager“ für Buben – die Unterbringung erfolgte im Wirtshaus „Zu den drei Föhren“ bei Neulengbach – um den Buben Erholung von ihrem Einsatz beim „Kriegshilfsdienst“ zu geben. Im zweiten Kriegsjahr 1916 beschlossen die „Vereinigten Wiener Pfadfinderkorps“ erstmals als Versuch ein „Zelthüttenlager“ bei Neulegbach zu organisieren.

 

Da auch die Pfadfinderinnen – es bestanden 8 Mädchengruppen[6], heute würde man sie als Trupps bezeichnen - auch „Kriegshilfsdienste“ leisteten, war es nur natürlich, dass 1916 erstmals auch ein „Lager“ für Mädchen im Sommer geplant wurde.[7] Es war daher auch nicht überraschend, dass für das „Lager“ ein ordentliches Quartier gefunden werden musste, was aber nicht ganz einfach war, da die „Reichshaupt- und Residenzstadt Wien“ mit Flüchtlingen aus den russisch besetzten Gebieten der Donaumonarchie überfüllt war. So lag es nahe, dass Emmerich Teuber einen Teil seiner „Villa“ in Wien Dornbach, die er selbst ja nicht nutzte, für diesen Zweck zur Verfügung stellte. Aufgrund der Gegebenheiten muss man davon ausgehen, dass der „Seitentrakt“ des Hauses als Quartier für die Mädchen diente. Ein Problem bei den Nachforschungen besteht darin, dass keine „Oberleitungsbefehle“ für das Jahr 1916 bisher bekannt sind, die genauen Daten zum Lager ermöglichen. „In der Villa des RFM in Dornbach haben sich die Wiener Pfadfinderinnen ein ganz reizendes Nestchen für den Sommer eingerichtet.“[8] „Die Mädels scheinen sich in der klaren Luft des Heuberges recht wohl zu fühlen. Natürlich führen auch sie, angeleitet von ihren braven Führerinnen, eigene Wirtschaft und es macht ihnen große Freude, sich in Küche und Hausgarten zu betätigen“.[9]

 

Die Tätigkeiten am Lager lehnten sich wohl an die Anleitungen des „Pfadfinderbuches für junge Mädchen“ an, die sie wie folgt beschrieben: „Auch den Mädchen“ ist „die Gelegenheit zu geben, ordentlich herumzutollen und die Annehmlichkeiten des Naturgenusses mit dem Nutzen der gesundheitlichen Ausbildung des Körpers bei einem Aufenthalt im Freien zu verbinden. Pfadfinden, Wandern, Singen und anregende Unterhaltung sind die Hauptsache. Große Marschleistungen werden mit Recht nicht beabsichtigt.“[10]

 

Insgesamt nahmen mehr als 40 Mädchen – auf Grund der örtlichen Verhältnisse wahrscheinlich in 2 Turnussen - unter der Führung der Gruppenführerinnen Helene John, Emma Kalina und Grete Haller[11]  im Sommer 1916 teil. [12] In der Zeitschrift „Der österreichische Pfadfinder“[13]  wird folgendes berichtet „Nun hat auch das so mancher Pfadfinderin lieb gewordene Ferienheim in der Dornbacher Villa des RFM seine Pforten geschlossen“. Die Mädchen „haben dort die Freuden des Landlebens und der eigenen Wirtschaft genossen und im Kreise der Kameradinnen gelernt, sich einer größeren Gemeinschaft anzupassen“. „so wie die Führer der Pfadfinder waren“[14] die Führerinnen „mit pfadfinderischer Selbstaufopferung bemüht, ihren Mädchen den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen. Auch dieses Unternehmen war von vollem Erfolg begleitet.“

 

Post Scriptum: Sollten Sie, geschätzter Leser, Zugang zu „Oberleitungsbefehlen des Wiener Pfadfinderkorps“ aus dem Jahr 1916 – auch Einzelexemplare - oder andere ergänzende Informationen verfügen, so ist der Autor für die zeitweise Überlassung dankbar, da z.B. dem Pfadfindermuseum - Institut für Pfadfindergeschichte keine vorliegen. Meine Email-Adresse: eugen(dot)brosch-fohraheim(at)chello(dot)at

 

[1]     Grundbuchseinlage für Haus Nr. 218, Zahl Nr. 692, KG Dornbach, GB Hernals

[2]     Eugen Brosch-Fohraheim: Papa Teubers Villa in Dornbach, in „25 Jahre Pfadfindergruppe Wien 29 - Dornbach“, Wien 1997, Seite 25

[3]     Auskunft von OStR Mag. Helmut Fink am 8.1.2025

[4]     Elise von Hopffgarten (Hrsg.): Das Pfadfinderbuch für junge Mädchen, München 1912

[5]     Elise von Hopffgarten (Hrsg.): Das Pfadfinderbuch für junge Mädchen, München 1912, Seite 240

[6]     Eugen Brosch-Fohraheim: Ein erster Schritt, zur Geschichte der Pfadfindergruppen in Wien, Version VIII., Wien 2023, Seite 31 ff.

[7]     Emmerich Teuber: Ein wenig Geschichte, in „Unser Weg“, Nr. 4/5 April/Mai, Wien 1928, Seite 46

[8] „Ein Ferienheim der Pfadfinderinnen“, in „Der österreichische Pfadfinder“, Heft 7-8, Wien 1916, Seite 61

[9]     „Ein Ferienheim der Pfadfinderinnen“, in „Der österreichische Pfadfinder“, Heft 7-8, Wien 1916, Seite 61

[10]   Elise von Hopffgarten (Hrsg.): Das Pfadfinderbuch für junge Mädchen, München 1912, Seite 244

[11]   Vereinigte Wiener Pfadfinderkorps: Oberleitungsbefehl Nr. 65 vom 12.11.1915 

[12]   Walter Cech: „Pfadfinderinnen in Österreich 1913-1976“, Wien 2012, Seite 25/26 

[13]   „Das Ferienheim der Wr. Pfadfinderinnen“, in „Der österreichische Pfadfinder“, Heft 9, Wien 1916, Seite 76 

[14]   „Das Ferienheim der Wr. Pfadfinderinnen“, in „Der österreichische Pfadfinder“, Heft 9, Wien 1916, Seite 76 

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