Der Historiker
Eugen Brosch-Fohraheim, Leiter der GeschichtsWerkstatt, beleuchtet in seiner Kolumne "Der Historiker" im Museumsjournal ab 2024 jede Ausgabe ein historisches Thema. Hier gibt es den Beitrag in Originallänge mit Anmerkungen zum Nachlesen!
Einsatz der Wiener Pfadfinder im 1. Weltkrieg
„Sei stets bereit“
1. Weltkrieg: Einsatz der Wiener Pfadfinder1
Der Ausbruch des 1.Weltkrieges im Sommer 1914 bedeutete nicht nur für die Völker Österreich-Ungarns, sondern auch für die damals in Wien gerade zwei Jahre bestehende Pfadfinderbewegung eine besondere Herausforderung. Galt es doch dem Wahlspruch der Pfadfinder „Allzeit bereit“, damals hieß es „Sei stets bereit“, mit Leben zu erfüllen.
Pfadfinder kurz nach der Gründung
Das Jahr 1913 war der Propagierung der Pfadfinderidee durch öffentliche Auftritte. z.B. bei der „Adria-Ausstellung“ im Prater, Einsätzen im Rahmen des Roten Kreuzes, z.B. als Figuranten bei Rettungsübungen, und Einsätzen bei diversen Kongressen geprägt. Ende 1913 gab es im „Wiener Pfadfinderkorps“ bereits 6 Gruppen – heute würde man es Trupps nennen - von insgesamt rd. 200 Buben2 im Alter von 12 bis 18 Jahren, sowie das „Pfadfinderkorps St. Georg“ in Favoriten mit schätzungsweise 50 Buben. Verstärkt durch die praktisch bewiesene Hilfsbereitschaft wuchs das „Wiener Pfadfinderkorps“ bis Ende 1914 auf 24 Buben- und 3 Mädchengruppen mit rd. 750 Buben und 100 Mädchen3 . Man kann sich lebhaft vorstellen mit welchen Problemen die Pfadfinderorganisation bei diesem rasanten Wachstum konfrontiert war. Verschärfend wirkte auch die Einberufung vieler Führer zum Kriegsdienst. All diese „internen“ Sorgen taten aber dem freiwilligen Einsatz für die Allgemeinheit keinen Abbruch. Die freiwilligen Dienste der rund täglich eingesetzten rd. 200 Pfadfinder wurden so geregelt, dass der Schulbesuch durch den Dienst nicht beeinträchtigt wurde4 .
Die Mobilisierung der Armee beeinträchtigte trotz damals herrschender „Kriegsbegeisterung“ - man rechnete ja mit einem kurzen Krieg - in vielen Bereichen das normale Leben. Männer wurden zu den Waffen gerufen und viele Aufgaben, die von diesen bis dahin wahrgenommen worden waren, waren mit einem Schlage unbesetzt und mussten erst neu geregelt werden. Die Flüchtlingswelle aus den Ostteilen der Monarchie wurde zu einer weiteren großen Herausforderung.
Pfadfinder in Dienste für Menschen
Die Pfadfinder stellten sich von Kriegsbeginn an Hilfsorganisationen, wie z.B. der „Österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuz“ und dem „Kriegshilfsbüro“, zur Verfügung. Sie wurden in den Büros der Organisationen, die sich ja erst im Aufbau befanden, als Boten – Telefonverbindungen mussten erst mühsam aufgebaut werden – eingesetzt. Aber auch bei der Wiener Feuerwehr waren die Pfadfinder als radfahrende Boten eingesetzt. Die verschiedenen Dienststellen, bei denen Pfadfinder eingesetzt wurden, waren voll des Lobes über den Einsatz der Buschen und Mädchen. Für ihren Einsatz wurden die Pfadfinder und Pfadfinderinnen mit einer „Fahrlegitimationen“ ausgestattet um ihnen einen kostenlosen Transport mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu ihrem Einsatzort bzw. zur Bewältigung der Botendienste zu ermöglichen.
Wie sehr der Einsatz der Pfadfinder geschätzt wurde, zeigte sich unter anderem auch darin, dass sie auch für Botendienste für Mitglieder des Kaiserhauses, z.B. Erzherzog Franz Salvator, Erzherzog Friedrich und Erzherzog Eugen, herangezogen wurden.
Bahnhofsdienste
Beim „Bahnhofsdienst“ am Nord-, Nordwest- und Ostbahnhof kurz nach Beginn des Krieges - bevor noch entsprechende Kräfte für diese Aufgaben bereitgestellt waren - war es die Aufgabe der Pfadfinder die von den Schlachtfeldern in den Zügen herangeführten Verwundeten zu laben. Das heißt, dass die Pfadfinder die mit den Zügen ankommenden Soldaten mit Getränken, wie Tee u.ä., empfingen. Danach halfen sie bei der „Auswaggonierung“ der oft nach den tagelangen Zugfahrten Erschöpften und deren Transport in die Spitäler und Kriegsspitäler.
Spitalsdienste
Neben den vorhandenen Spitälern mussten buchstäblich von einem Tag auf den anderen „Reservespitäler“, die von verschiedensten Vereinen betreut wurden, zur Versorgung der Verwundeten aus dem Boden gestampft werden. Auch in diesen Spitälern gab es mannigfaltige Aufgaben für Pfadfinder und Pfadfinderinnen beginnend mit Botendiensten bis zu Hilfstätigkeiten am Krankenbett. So wurden sie nachweislich im Reservespital I5, Reservespital II und einem Reservespital in der D’Orsaygasse6 eingesetzt.
Haussammeldienst
Besondere Aufmerksamkeit erregten die Pfadfinder bei ihrem Einsatz für das im Spätherbst 1914 gegründete „Komitee für den Haussammeldienst“, das unter dem Protektorat der Erzherzogin Zita7, der Ehefrau des letzten Kaisers Karl I., stand, Die Grundidee war, dass man den an der Front stehenden Soldaten „Liebesgaben“ zukommen lassen wollte. Unter „Liebesgaben“ verstand man Wäsche, Wollsachen, Toilettenartikel, Zigaretten, Süßigkeiten, Esswaren, Getränke, aber auch Bücher und Zeitschriften8. Die Durchführung erfolgte in folgender Weise. An zwei Tagen in der Woche - Mittwoch und Samstag - fuhren die Fuhrwerke des Haussammeldienstes durch die Straßen und sammelten die Geschenke der Bevölkerung ein.
Die Aufgabe der Pfadfinder war einerseits die Verteilung von Flugblättern an die Hausparteien einige Tage vor der Sammlung und andererseits die Begleitung der Sammelwagen. Gewöhnlich kündigten zwei Pfadfinder durch lustiges und helles Blasen von „Schalmeien“9 die Ankunft des Sammelwagens an. Dann nahmen sie die „Geschenke“ der Bewohner entgegen und schleppten sie auf die Transportwaren. Die Geschenke wurden in Depots gesammelt, wo sie sortiert wurden. Dieser Dienst in den Sammeldepots war den Pfadfinderinnen vorbehalten10.
Der Erfolg dieser Aktion war sehr groß. In 35 Sammeltagen von Dezember 1914 bis April 1915 wurden 473 Sammelwagen gefüllt. Die Spenden wurden zum Teil sehr niedrig, da „second hand“, bewertet. Trotzdem kam man zu stattlicher Summe von 1,3 Mio. Kronen. Umgerechnet – Vergleichsmaßstab: Briefporto - ergibt sich ein heutiger Wert von rd. EUR 1 Mio11. Der Erfolg veranlasste die Organisatoren diese Aktion, wenn auch in geringerer Intensität, über drei Jahre fortzuführen.
Für die Pfadfinder war dieser Einsatz sehr publikumswirksam, was auch in den Darstellungen des „Haussammeldienstes“ auf Postkarten, Abzeichen und Kunstwerken zum Ausdruck kam. Das „Haussammelkomitee“ zeichnete die eingesetzten Pfadfinder, wenn sie mindestens zehn Mal an der Aktion teilnahmen, mit einem Abzeichen aus12.
Andere Dienste
Ab Anfang 1915 waren Pfadfinder unter anderem bei der Ausgabestelle der „Dänischen Deckenaktion“13 – Dänemark war im 1. Weltkrieg neutral – in der Hofburg eingesetzt. Die Vorbereitung und Durchführung der „Weihnachtsbescherung für Kriegswaisenkinder“14 im Festsaal des Wiener Rathauses, z.B. im Februar 1915, wurde von Pfadfindern und Pfadfinderinnen aktiv unterstützt15. Daneben waren die Pfadfinder sehr gefragt bei Straßensammlungen für diverse karitativen Zwecke, wie z.B. Rotes Kreuz16, Kriegsfürsorge, Soldatentage, Flüchtlingsfürsorge, Verwundetenerholungsheime und der Aktion „Wehrmann in Eisen“17, der heute noch unter den Arkaden nahe des Wiener Rathauses steht. Auch die Veranstaltungen der Pfadfinder - „Akademien“ oder „Unterhaltungsabende“ genannt -, in denen die Pfadfinder ihre Fähigkeiten in der Pfadfindertechnik, im „Palatschinkenkochen“, im Gesang und der Aufführung von Stücken bewiesen, waren eine beliebte und gern besuchte Abwechslung im Kriegsalltag, deren Erlös wohltätigen Zwecken zugeführt wurden.
Lob und Anerkennung
Die verschiedenen Dienststellen, bei denen Pfadfinder eingesetzt wurden, waren voll des Lobes über den Einsatz der Buschen und Mädchen. So gewährte die „Bundesleitung des Roten Kreuzes“ den Pfadfindern als Dank 1915 eine einmalige Subvention von Kr 1000,-18. Daneben wurde Pfadfinder und Pfadfinderinnen zu Konzerten bei freiem Eintritt eingeladen19.
Der Besuch von Kaiser Karl I. bei den Pfadfindern im Rahmen einer „Jugendschau“ am 30.4.1917 auf dem Hietzinger Roten Berg20 stellte sicher eine solche Anerkennung dar. Auch die kaiserliche Entschließung vom 28.9.191721, die dem Pfadfinderbund die Führung der kaiserlichen Krone im Pfadfinderabzeichen gestattete, war ein deutliches Zeichen der Wertschätzung der Dienste der Pfadfinder. Weiters wurde die Wertschätzung des Einsatzes der Pfadfinder durch die Verleihung hohe Orden an Führer demonstriert. So verlieh Erzherzog. Leopold Salvator, Protektor des Roten Kreuzes, RFM Emmerich Täuber die „Silberne Verdienstmedaille des Roten Kreuzes mit der Kriegsdekoration“22 und Kaiser Karl I. verlieh dem ÖPB-Bundespräsidenten Freiherr von Parisini den „Orden der Eisernen Krone II.Kl. K.D.“ und dem RFM Emmerich Täuber das „Ritterkreuz des Franz-Josefs Ordens K.D“23.
Nach dem Krieg wurden viele Pfadfinder auf eigenen Antrag für ihren Einsatz mit der „Kriegserinnerungsmedaille“ - jedoch ohne Schwerter – ausgezeichnet.
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[1] Dieser Artikel basiert auf Eugen Brosch-Fohraheim: Sei stets bereit; in „29 live Gruppenzeitung der Pfadfindergruppe „Wien 29-Dornbach“, Frühjahr 1999, Seite 21/22
[2] Kurt Pribich: Logbuch der Pfadfinderverbände in Österreich, Wien 2001, Seite 17
[3] Kurt Pribich a.a.O., Seite 21
[4] Oberleitungsbefehl Nr.6 vom 4.11.1914, Punkt 4.
[5] Oberleitungsbefehl Nr.15 vom 28.12.1914, Punkt 2.
[6] Oberleitungsbefehl Nr.5 vom 29.10.1914, Punkt 1.
[7] Oberleitungsbefehl Nr.15 vom 28.12.1914, Punkt 2.
[8] Neue Freie Presse vom 29.11.1914, Seite 10
[9] Wiener Zeitung, Nr. 242 vom 19.10.1915, Seite 7
[10] Oberleitungsbefehl Nr.13 vom 17.12.1914, Punkt 3.
[11] Kurt Pribich: a.a.O. Seite 21
[12] Oberleitungsbefehl Nr.30 vom 3.4.1915, Punkt 14.
[13] Oberleitungsbefehl Nr.18 vom 20.1.1915, Punkt 4.
[14] Oberleitungsbefehl Nr.22 vom 7.2.1915, Punkt 1.
[15] Oberleitungsbefehl Nr.20 vom 30.1.1915, Punkt 2.
[16] Oberleitungsbefehl Nr.47 vom 17.7.1915, Punkt 4.
[17] Oberleitungsbefehl Nr.48 vom 19.7.1915, Punkt 9.
[18] Neue Freie Presse vom 13.2.1915, Seite 23
[19] Oberleitungsbefehl Nr.9 vom 26.11.1914, Punkt 5.
[20] Wiener Zeitung, Nr. 98 vom 1.5.1917, Seite 11
[21] Oberleitungsbefehl Nr.119 vom 1.11.1917, Punkt 1.
[22] Oberleitungsbefehl Nr.53 vom 20.8.1915, Punkt 1.
[23] Oberleitungsbefehl Nr.106 vom 1.1.1917, Punkt 1.