Knabenhort und Jugendwehr

Ausmarsch des Knabenhortes
Das Foto wurde ca. 1909 aufgenommen.
aus der Sammlung des Pfadfindermuseums und Instituts für Pfadfindergeschichte

Ausmarsch des Knabenhortes

Die Hauptbeschäftigung der Buben bestand aus "Soldatenspiel", aber auch bereits aus anderen - dem Pfadfindertum sehr ähnlich gestalteten - Beschäftigungsarten (Erste Hilfe, Signalisieren, Pionier und ähnliches). 1908 zählte der Verband bereits mehr als 10.000 Knabenhortler und ca. 2.000 Jugendwehr Mitglieder.

Bald wuchs jedoch Widerstand gegen die privaten, militärisch organisierten Knabenhorte heran. Vor allem aus Kreisen der Lehrerschaft war man über die mangelnde pädagogische Ausbildung der Leiter nicht erfreut. So entstanden auf Anordnung Bürgermeister Karl Luegers städtische Knabenhorte, die im Verband "Wiener Zentralverein zur Errichtung und Erhaltung von Knabenhorten" organisiert waren.

Durch die Konkurrenz der städtischen Knabenhorte verminderte sich die Anzahl der Mitglieder in den privaten Horten schnell. 1911 konnte Franz Opelt nur mehr ca. 1.000 Hortbuben als Mitglieder führen. In dieser Zeit wurde Oberleutnant i.R. Emmerich Teuber auf Vorschlag seines Vetters Franz Opelt zum Zentralinspektor des Hortverbandes ernannt. Teuber erkannte bald, daß der Hort in seiner damaligen Form nicht zu retten war und versuchte es mit einer Neugründung im Heim Apostelgasse 9 im 3. Wiener Gemeindebezirk. Diese Neugründung war die erste Pfadfinderpatrouille der etwas später entstandenen Gruppe 1 - "Habsburg".

In der Schrift "Aus vergangenen Tagen", die Emmerich "Papa" Teuber selbst verfasste, erzählt er über Entstehung, Aufschwung und Niedergang der Knabenhort- und Jugendwehrbewegung:

An einem sommerlich heißen Frühlingsnachmittag des Jahres 1905 war es, als ein pensionierter Offizier auf den Platz vor seinem Wohnhause, weit draußen in Erdberg, eilte, um eine Schar dort herumtollender Gassenbuben zur Ruhe zu weisen. Die Nerven des armen Mannes waren durch das tägliche Gebrüll der Buben kaputt geworden, seine Geduld war zu Ende, und so stand er plötzlich, den Stock drohend schwingend, unter der tobenden Schar.

"Was treibt ihr Lausbuben denn da?", rief er den Jungen zu. "Wir spülln Krieg!", war die Antwort. Da musste der alte Soldat doch lächeln, und gute Miene zum bösen Spiele machend, forderte er die Buben auf, doch das "Kriegsspiel" vor ihm zu wiederholen. Und als er dann die unbändige Rauflust, aber auch den lachenden Frohsinn in den jungen Augen beobachtet hatte, stand sein Entschluss fest, in "nähere Beziehungen" zu seinen bisherigen Peinigern zu treten. Er lobte ihren Eifer und ihre Geschicklichkeit, und lud die Schar schließlich für den nächsten schulfreien Nachmittag zu einem Ausflug in die Praterauen.

Knabenhort-Buben bei einer Sanitätsübung
aus der Sammlung des Pfadfindermuseums und Instituts für Pfadfindergeschichte

Knabenhort-Buben bei einer Sanitätsübung

 

Ein edler Kinderfreund fand sich, der Opelt ein schon, seit langer Zeit leer stehendes Gebäude, das Haus III., Apostelgasse 9, kostenlos als Heim für seine kleine Truppe überließ, die Eltern und die Öffentlichkeit wurden für die Sache interessiert, Bezirksgruppen entstanden in ganz Wien, und bald war der kleine "Knabenhortler" in seiner putzigen Matrosenuniform eine stadtbekannte Figur geworden.

"Tschinderaßa - bum - der Knabenhort geht um!" - war ein geflügeltes Wort geworden. Schmetternde Blechmusik kündigte den Anmarsch der kleinen Truppen an, die sich an Strammheit und Schneid' in den einzelnen Bezirken schier überbieten wollten. Die "großen" Horte, wie Erdberg, Meidling und Ottakring hatten sogar "Gewehrkompagnien" aufgestellt, d. h. die Hortler aus den Bürgerschulen waren mit Spielereigewehren ausgerüstet worden, und wenn diese Kompagnien geführt von ihren kleinen Säbel und Feldbinde tragenden Offizieren "dröhnenden Schrittes" heranmarschiert kamen, dann kannte die Begeisterung der Wiener keine Grenzen. Aber ihr würdet euch gewaltig täuschen, wenn ihr annehmen würdet, dass sich die Tätigkeit der Horte nur auf das Soldatenspiel beschränkt hätte! Nein, nein es gab dreißig verschiedene Beschäftigungsarten im Ausbildungsplan (fast genau dieselben, die wir Pfadfinder üben), und im Winter in den Heimen, im Sommer aber im Freien wurden die Hortbuben in den schulfreien Nachmittagsstunden in all' diesen Künsten und Fertigkeiten geschult, nebenbei aber auch unter Aufsicht von Lehrern zur Erledigung ihrer Hausarbeiten für die Schule verhalten.

Plakat der Jugendwehr

Plakat der Jugendwehr
aus der Sammlung des Pfadfindermuseums und Instituts für Pfadfindergeschichte

Unheimlich rasch entwickelte sich Opelt's Gründung nach aufwärts. Schon 1907 hatte er für die schulentlassenen Burschen die sogenannte "Jugendwehr" geschaffen, eine vorbildliche Schule militärischer Vorbereitung, in der die Jungen sogar im Schießen mit dem Armeegewehr unterwiesen wurden, und im Jahre 1908 zählte der "Verband der militärisch organisierten Knabenhorte und Jugendwehren Wiens" schon mehr als zehntausend Knabenhortler und 2000 Jugendwehr "Frequentanten". Die jährlichen Wettbewerbe der Bezirksgruppe am Trabrennplatze, bei denen die Jungen ihre Fertigkeit im Exerzieren, der ersten Hilfe, Signalisieren, Pionierdienst, in den verschiedenen Sportzweigen usw. öffentlich erprobten, waren zu richtigen Volksfesten geworden, und die Zukunft der Hortidee schien gesichert. Schon gab es ja fast keine "Gassenbuben" mehr in Wien, die arbeitenden Eltern, die ihre Kinder den Horten anvertraut hatten, wussten ihre Buben in guter Hut und die Jungen selbst erwarben eine Menge nützlichster Kenntnisse.

Knabenhortler beim Exerzieren
aus der Sammlung des Pfadfindermuseums und Instituts für Pfadfindergeschichte

Knabenhortler beim Exerzieren

Da verfügten 1908 die Schulbehörden, veranlaßt durch den Erfolg der Opelt'schen Gründung, die Errichtung von Knabenhorten in den Schulen selbst, und damit begann der Verfall der "militärischen" Horte. Als ich, 1910, mich für die Knabenhortsache zu interessieren begann (ich war 1909 in Amerika gewesen, und hatte dort eine Menge ähnlicher Einrichtungen kennen gelernt), war der Stand der Opelt'schen Horte schon auf 4000 Buben gesunken, und ein Jahr später übernahm ich, von Opelt selbst zum Zentralinspektor des Verbandes ernannt, kaum mehr als 1000 Hortbuben in zehn Bezirksgruppen und ungefähr 200 Jugendwehrleute. Ich hatte meine Tätigkeit als Jugendführer anfangs 1911 als Leiter der Erdberger Jugendwehr in jener sagenhaften Hausruine in der Apostelgasse begonnen, und sollte nun im Hortverbande retten, was noch zu retten war. Wie ich aber bald erkennen musste, war ich zu spät berufen worden, um dem Zusammenbruche vorzubeugen, und so entschloss ich mich zu einer Neugründung.

 

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